2me Schadstoff-Kompass

Formaldehyd in Innenräumen: Erkennen, Messen und Sanieren

Geschrieben von Jonathan Toumi | Oct 1, 2025 6:41:20 AM

Was ist Formaldehyd und wo kommt es vor?
Formaldehyd (HCHO) ist ein stechend riechendes Gas, das insbesondere aus Baumaterialien und Einrichtungsgegenständen ausdünstet. Hauptquellen in Gebäuden sind Holzwerkstoffe wie Spanplatten, Sperrholz und MDF, die mit Formaldehyd-haltigen Klebern (Harnstoff-Formaldehydharz) verleimt wurden. Viele Möbel (Schränke, Tische) und Einbauten aus Pressholz können Formaldehyd abgeben. Historisch bekannt ist auch Urea-Formaldehyd-Schaum als Dämmung (in den 1970ern teilweise eingesetzt), der stark ausgasen konnte.
Weitere Quellen sind: Kunstharzlacke, Farben und Klebstoffe, die HCHO als Konservierungs- oder Vernetzungsmittel enthielten, Teppichböden (Rückenbeschichtungen) und Textilien (Vorhänge mit Knitterschutz, Teppiche) – auch diese können geringe Mengen abgeben.
Tabakrauch in Innenräumen erhöht ebenfalls die Formaldehyd-Konzentration erheblich. Formaldehyd entsteht überdies bei Verbrennungsprozessen (z.B. Gasherde, Kerzen, Räucherstäbchen). In modernen Produkten wurde Formaldehyd reduziert: Seit Jahrzehnten gelten Emissionsklassen (E1) für Holzwerkstoffe, sodass Neumöbel deutlich weniger ausdünsten als alte (frühere Spanplatten konnten HCHO in ppm-Bereich freisetzen). Dennoch ist Formaldehyd allgegenwärtig – es gibt auch natürliche Emittenten: z.B. gibt Holz selbst geringe Mengen ab. In Innenräumen treten auffällig hohe Werte meist in neuen oder frisch renovierten Räumen mit vielen Pressholz-Möbeln oder bei unsanierten älteren Möbeln (vor ~1990).

Wie erkannt man Formaldehyd? 
Formaldehyd kann man oft riechen, da es ab ca. 0.1 ppm einen typischen stechenden Geruch hat. Bewohner klagen dann über Augenreiz, Kratzen im Hals oder Kopfschmerzen in entsprechenden Räumen – dies kann ein Hinweis sein. Gewissheit bringt jedoch nur eine Raumluftmessung. Es gibt Prüfröhrchen oder passive DNPH-Mess-Kärtchen, die man aufstellen und ins Labor schicken kann.

Professionelle Messinstitute nutzen Pumpen und spezielle Röhrchen, um Formaldehydgehalt in µg/m³ zu bestimmen. Eine einzelne Momentanmessung kann variieren (HCHO hängt von Temperatur und Frischluft ab), daher werden oft über mehrere Stunden oder Tage Proben genommen. Das BAG empfiehlt, Wohnräume auf Formaldehyd zu testen, wenn typische Symptome auftreten und Pressholz-Material vorhanden ist. Zusätzlich kann man mit Wärme testen: wenn ein Zimmer bei geschlossenen Fenstern warmgehalten wird, steigen die Formaldehyd-Werte. Merkt man  dann verstärkten Geruch oder Reizung bei Wärme, ist das ein Indiz.

Oberflächen- bzw. Materialtests werden in Laboren gemacht, um die Quelle zu identifizieren. Insgesamt bleibt die zuverlässigste Erkennung die Luftmessung.


Wie dringend muss Formaldehyd entfernt werden?
Formaldehyd ist ein Reizgas und krebserregend (Kategorie 1 für Nasen-Rachen-Krebs beim Menschen). Eine längere Exposition gegenüber erhöhten Konzentrationen (über ca. 0,1 ppm bzw. 125 µg/m³) gilt als gesundheitlich bedenklich. Daher sollte bei Überschreiten dieses Richtwertes rasch gehandelt werden.

Akut: Wenn Formaldehyd so stark ausgast, dass Bewohner Augen tränen und der Geruch deutlich wahrnehmbar ist, besteht unmittelbarer Handlungsbedarf – man sollte lüften und die Quelle meiden (z.B. neues Möbelstück aus dem Schlafraum entfernen).

Mittelfristig: Auch moderat erhöhte Werte (im Bereich 50–100 µg/m³) können Schleimhäute reizen und Beschwerden verursachen, besonders bei empfindlichen Personen. Hier ist eine Entfernung oder Reduktion der Quelle innerhalb Wochen/Monaten sinnvoll, um chronische Effekte zu vermeiden.

Langfristig: Selbst dauerhaft leicht erhöhte Formaldehydwerte steigern das Krebsrisiko geringfügig, daher strebt man immer an, die Werte so niedrig wie möglich zu bekommen. Die Dringlichkeit hängt also von der Konzentration ab – Werte weit über dem Richtwert erfordern sofortige Massnahmen (intensive Lüftung, Ausquartieren empfindlicher Personen, Beseitigung der Quelle). Bei kleineren Überschreitungen kann man kurzfristig lüften und binnen einiger Monate die Ursache beseitigen.

Zu bedenken ist auch: Kinder reagieren empfindlicher. In einem Kindergarten oder Kinderzimmer mit Formaldehydproblem wäre schnelles Handeln besonders geboten.

Übrigens: Formaldehyd-Werte sinken zwar mit der Zeit – aber es dauert Jahre, bis Emissionen bedeutungslos werden. Daher sollte man nicht darauf hoffen, dass es „von allein verschwindet“, sondern lieber aktiv sanieren.


Wie wird Formaldehyd entfernt bzw. reduziert?
Der effektivste Weg ist, formaldehydhaltige Materialien zu entfernen oder auszutauschen. Beispielsweise kann man alte Spanplattenmöbel durch emissionsarme ersetzen (Neuanschaffungen mit Zertifikaten „E1“ oder besser). Wenn Entfernen nicht möglich ist, hilft oft Versiegelung. Holzwerkstoffe können mit speziellen Lackierungen oder Beschichtungen behandelt werden, die Formaldehyd-Ausdünstungen blockieren.

Alle offenen Kanten von Spanplatten sollten furniert oder abgeklebt sein, da dort HCHO besonders entweicht. Wände und Böden mit verdächtigen Klebern/Schäumen (z.B. alter Teppichkleber auf Urea-Basis) können mit einer Dampfsperr-Grundierung versiegelt werden.

Lüften ist die einfachste Sofortmassnahme: regelmässiger Luftaustausch senkt die Konzentration. In belasteten Räumen kann auch ein Luftreiniger mit Aktivkohlefilter Formaldehyd aus der Luft filtern – dies mindert Symptome, entfernt aber nicht die Quelle.

Bei neuen Möbeln hilft „Auslüften“: am besten zunächst in einem gut belüfteten Raum oder in der Garage lagern, bevor sie ins Schlafzimmer kommen.

Falls Bauprodukte (wie frischer Anstrich oder Bauplatten) Formaldehyd abgeben, kann man prüfen, ob diese Produkte wirklich für Innenräume geeignet waren – ggf. Hersteller kontaktieren. Es gibt auch chemische Verfahren, die Formaldehyd binden (manche Sprays), aber diese sind eher symptomatisch.

Daher gilt: Ursache beseitigen statt Symptome bekämpfen. Bei extremen Fällen (z.B. Schaumdämmung in Wänden, die Gas abgibt) bleibt nur der aufwändige Ausbau des Materials. Im Falle von Tabakrauch: Raucherbereiche ins Freie verlegen.

Praktisch jeder Eingriff sollte mit einer Nachmessung verifiziert werden. Oft erzielt schon das Entfernen eines einzigen Schranks signifikante Verbesserungen.


Wie hoch ist das Risiko bei der Bearbeitung? 
Bei der „Sanierung“ von Formaldehydquellen entstehen keine speziellen zusätzlichen Gefahren wie bei Asbest – es ist mehr die generelle Belastung. Wenn man jedoch z.B. stark formaldehydhaltige Platten zersägt oder abbaut, kann kurzfristig viel Formaldehyd freigesetz  werden, was für den Ausführenden reizend ist.

Schutzausrüstung beim Ausbau stark belasteter Materialien kann sinnvoll sein: eine Atemschutzmaske (mindestens mit A2-Filter gegen organische Gase) schützt vor Reizung, und Handschuhe sind ratsam, denn Formaldehyd kann auch Hautreizungen verursachen oder Allergien auslösen. Formaldehyd ist in hoher Konzentration leicht entzündlich, aber beim Sanieren in Räumen erreicht man nie das explosive Gemisch.

Wichtig: Formaldehyd-lösliche Stoffe (z.B. Wasser) können es aufnehmen – man sollte daher Hände waschen und Augen schützen.

Langzeitrisiko: Wer über Jahre in einer formaldehydbelasteten Umgebung arbeitet (z.B. Tischler ohne Abluft in einer Spanplattenmöbelfabrik), hat ein erhöhtes Nasen-Rachen-Krebsrisiko. Bei kurzzeitigen Bauarbeiten in einem belasteten Haus ist dieses Risiko gering. Allerdings kann intensiver Formaldehydgeruch Schwindel und Übelkeit verursachen – Pausen an der frischen Luft helfen.

Bei der Entfernung an sich ist das Risiko mässig (vor allem Reizung) und mit einfachen Mitteln handhabbar. Nachdem die Quellen entfernt sind, besteht kein anhaltendes Risiko mehr, da Formaldehyd nicht wie PCB in Staub zurückbleibt, sondern gasförmig war.


Wie wird Formaldehyd entsorgt? 
Formaldehydhaltige Stoffe werden meist normal als Bau- oder Sperrmüll entsorgt, da Formaldehyd als flüchtiges Gas grösstenteils schon in der Nutzungsphase entwichen ist. Ausgebaute Spanplatten oder Möbel kann man dem üblichen Entsorgungsweg für Altholz/Pressholz zuführen – moderne Kehrichtverbrennungsanlagen verbrennen das Material, und das verbleibende Formaldehyd verbrennt dabei zu CO₂ und Wasser. Es gibt keinen speziellen Grenzwert für Formaldehyd im Abfall, denn es ist kein langlebiger Schadstoff im Material (im Gegensatz zu Asbest). Dennoch sollte man grössere Mengen formaldehydhaltiger Abfälle nicht unkontrolliert verbrennen (im Kamin o.ä.), da es stechenden Rauch erzeugt – daher gehören sie in die KVA.

Chemikalien wie Formalin (wässrige Formaldehyd-Lösung, z.B. aus alten Laborbeständen) gelten allerdings als Sonderabfall und müssen entsprechend abgegeben werden, aber so etwas kommt im Baubereich selten vor.


Wie lauten dei gesetzlichen Richtlinien?
Formaldehyd in Innenräumen unterliegt in der Schweiz einem Richtwert des BAG: 0,1 ppm bzw. 125 µg/m³ als empfohlener Höchstwert für Wohn- und Aufenthaltsräume. Dies ist jedoch (noch) kein zwingend einzuhaltender Grenzwert, sondern ein Vorsorgewert, ab dem Massnahmen empfohlen werden.

Bei Überschreitung spricht das BAG von einer „Schwelle zur Gesundheitsgefährdung“. In Deutschland existiert ein identischer Wert (124 µg/m³) als Innenraumrichtwert.

Die EU hat kürzlich beschlossen, die Grenzwerte für Formaldehyd in Produkten zu verschärfen: Ab August 2026 darf Holzwerkstoff nur noch halb so viel Formaldehyd abgeben wie bisher (was ~0,05 ppm entspricht). Die Schweiz plant, diese EU-Regeln zu übernehmen. Schon jetzt gilt in der Schweiz über die Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV), dass nur E1-Platten (≤0,1 ppm) in Verkehr gebracht werden dürfen.

Arbeitsrechtlich hat die SUVA einen MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) festgelegt – dieser liegt bei 0,3 ppm (0,37 mg/m³). Diese Grenze darf in Arbeitsumgebungen ohne besondere Schutzmassnahmen nicht überschritten werden.

Im Bauwesen fordert das Minergie-ECO-Label und der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS), dass emissionsarme Materialien verwendet und Messungen nach Sanierungen durchgeführt werden. Soll heissen: Beim Bauen wird heute auf Formaldehydfreiheit geachtet, auch wenn es gesetzlich nicht komplett verboten ist.